„Schuften bis zum Schluss“ – Arme Rentner im reichen Deutschland

Rentner in Deutschland müssen oft bis ins hohe Alter arbeiten. Quelle: dpa

Sie haben die Altersgrenze erreicht, müssen aber jetzt erst recht mit der Arbeit anfangen, denn von ihrer Rente bleibt nichts übrig: Eine ZDF-Reportage zeigt drei bedrückende Fälle von Altersarmut.

Berlin: Eine beschauliche alte Mühle zwischen grünen Wiesen, im nördlichen Niedersachsen – ein pures Idyll, aber nur auf den ersten Blick. Auf einer Leiter steht Hans-Jürgen Baciulis. Der 68-jährige Rentner schrubbt das Dach. Freiwillig macht er das nicht. Er braucht das Geld, denn angesichts seiner 800 Euro Rente muss der ehemalige Steuerfachgehilfe sich etwas dazu verdienen.

Baciulis ist einer von drei Fällen, die die ZDF-Reportage „Schuften bis Schluss“ in der Reihe „37 Grad“ an diesem Dienstag (22.15 Uhr) begleitet hat. Der Alltag der armen Ruheständler ist zuweilen hektisch, denn sie können von ihrer schmalen Rente nicht leben. „Ich kann es mir gar nicht leisten, krank zu werden“, sagt Baciulis. „Dann geht man vor die Hunde. Das mag ich gar nicht zu Ende denken.“

Seine Altersbezüge fallen unter anderem deswegen so karg aus, weil Baciulis an seine Ex-Frau einen Versorgungsausgleich zu entrichten hat. Seine Tochter studiert in Lüneburg, an sie überweist er monatlich 250 Euro. Dass es ihrem Vater finanziell so miserabel geht, davon wisse sie nichts, meint Baciulis. Nach der Ausstrahlung der Reportage wird sie vermutlich mehr über die Situation ihres Vaters wissen.

Seit 2003 hat sich die Zahl der Rentner, die vom Amt zusätzliche „Grundsicherung“ beziehen müssen, verdoppelt, heißt es in der Reportage von Angelika Wörthmüller und Enrico Demurray. Doch die erhält nur derjenige, der in angemessenen Wohnverhältnissen lebt. Heidi Steenbock gehört nicht zu denen: Die Berlinerin zahlt für ihre anderthalb Zimmer im Stadtteil Schöneberg 557 Euro warm – zu viel, um die Grundsicherung zu beanspruchen.

„Ich möchte aus meinem sozialen Umfeld nicht weg“, unterstreicht die 66-Jährige. „Ich will nicht ins Umland.“ Nach Abzug der Fixkosten bleiben der gelernten Bäckereifachverkäuferin 170 Euro. Also fährt sie in aller Früh von Schöneberg nach Weißensee, um dort in einer Bäckerei Brötchen zu schmieren und an der Computerkasse zu stehen, mit der sie ihre Probleme hat. Sie merkt: „Man wird langsamer, älter, die Konzentration ist nicht mehr so da wie bei jüngeren Menschen.“

Wolfgang Hergt lebt in Leipzig – der Maschinenbauingenieur war vor der Wende in einer Gießerei Chef über mehr als 40 Mitarbeiter, nach 1989 wurde das Unternehmen abgewickelt. Hergt machte sich selbstständig als Versicherungsagent. In die Rente zahlt er nicht ein, er versicherte sich privat. Dann die Rückschläge: Die Pflege der kranken Mutter wurde ein finanzieller Kraftakt, zwei Mal verletzte sich der heute 65-Jährige schwer, er wurde depressiv.

Heute steht Hergt in Leipzig auf Plätzen als Energieberater und betreibt „Kalt-Akquise“ – das heißt: Er muss Menschen zum Abschluss von Verträgen bringen und bekommt dafür 50 Euro. Ernähren tut er sich von der Tafel: „Davor hab ich jedes Mal Bammel“, sagt Hergt.

Quelle: http://www.handelsblatt.com/panorama/aus-aller-welt/schuften-bis-zum-schluss-arme-rentner-im-reichen-deutschland/12047896.html

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